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Alice Schwarzers Autobiografie „Lebenslauf“
Sendung vom 18.09.2011 in B5 Kultur am Sonntag, "Kultur aktuell"
Von Vladimir Balzer

Alice Schwarzer stilisiert sich in ihrer Autobiographie zur unfehlbaren Übermutter der Geschlechterdebatte - und hat kein Verständnis für die nächste Generation.

Erst mal – eine große Schreiberin ist sie nicht. Das rumpelt an allen Ecken, sie benutzt ihre Sprache zuweilen wie alte Männer Skat dreschen. Immer druff. Wenig Feingefühl, und nur mit geringem Sinn für Ästhetik.

Dabei hält sie sich offenbar schon sehr früh für eine Meisterin des Textes. Als sie Anfang Mitte der 60er Jahre eine Absage von der Münchner Journalistenschule bekommt, lässt sie sich nicht entmutigen, denn sie weiß ja, so schreibt sie, dass sie wirklich eine Begabung zum Schreiben habe.

Und so zieht es sich durch – im gesamten Buch. Auch wenn man durchaus viel Erhellendes über das Leben einer jungen Frau im Nachkriegsdeutschland erfährt – über die Prägungen, die sie zur Frauenrechtlerin haben werden lassen - wichtig ist für Alice Schwarzer vor allem zu zeigen, dass sie schon immer ein Talent war, etwas Besonderes, herausragend. Was sie gemacht hat, ist auch im Nachhinein richtig. So sieht sie es, so schreibt sie es. Unterstrichen durch eine Sammlung von Artikeln von ihr oder über sie selbst, die sie 80 Seiten lang ausbreitet.

Klar, Autobiografien sind das eitelste Genre auf dem Buchmarkt. Aber Alice Schwarzer, die doch von allen anderen gern Selbstbefragung verlangt, stellt einen neuen Rekord in Selbststilisierung auf.

Eines der Kapitel überschreibt sie mit „Pionierin der Frauenbewegung“ und meint damit natürlich sich selbst.

Und – ja. Ihr Kämpfe haben in den 70er Jahren ohne Zweifel viel gebracht. Allein durch die Publizität die sie erreichte. Sie war und ist nicht nur eine Projektionsfläche für gesellschaftliche Diskussionen, sie ist vor allem eine Meisterin der Medien, sie weiß mit ihnen umzugehen. Sogar die Bild-Zeitung wusste sie zu benutzen – so wie letztens gegen Kachelmann. Sie sieht es professionell und pragmatisch, anderen würde sie einen Pakt mit der Bild-Zeitung vor die Füße werfen. Aber auch das macht sie natürlich richtig. Ihre Medien-Nutzungs-Talent wird auch in ihrer Autobiografie deutlich.

 

Aus dem Muff des Adenauer-Deutschlands bricht sie nach Paris aus, schreibt von dort wie wild über den intellektuellen und sozialen Aufbruch der späten 60er Jahre, lebt ihre erste große Liebe, geniesst die Streit- und Diskussionskultur, die sie aus Deutschland nicht kannte, kommt zurück und ist beseelt von den Ideen einer Simone de Beauvoir, der eigentlichen Führerin der europäischen Frauenbewegung. Als sich Alice Schwarzer dann in Deutschland engagiert, in spektakulären Büchern und Aktionen gegen das Abtreibungsverbot und gegen die faktischen Benachteiligungen der Frauen zu Felde zieht, da erreicht sie was. Nämlich den Beginn einer Diskussion. Sie hatte das Talent dazu. Sie konnte zuspitzen und sie ging zu weit. Etwa bei einer Fernsehdiskussion Mitte der 70er mit der deutsch-jüdischen Schriftstellerin Esther Vilar, der sie Methoden des „Stürmer“ vorwarf. Vilar hatte in einer amüsanten Polemik behauptet, die Frauen würden die Männer unterdrücken. Es war eine Provokation, mehr nicht. Alice Schwarzer aber, typisch für ihre Humorlosigkeit, nahm das alles eins zu eins. Sie verglich in der TV-Diskussion die Propaganda der Nazis gegen die Juden mit den Thesen der Esther Vilar über die Frauen. Mag das im aufgeheizten ideologischen Zeitalter noch unter Frechheit durchgehen, sollte man 35 Jahre später zumindest etwas reflektierter mit dieser Art der Diskussion umgehen. Aber keine Spur! Alice Schwarzer blickt in ihrer Autobiografie auf dieses denkwürdige Ereignis zurück ohne Scham, ohne Zweifel, ohne auch nur einen Nebensatz, der sagen würde: War das richtig so damals? Sehe ich es heute anders? Nein! Alice Schwarzer sieht nichts anders. So wie es war, so war es richtig!

Dieses Buch durchweht ein Hochmut, das einem beim Lesen ganz schwindlig wird. Menschen werden danach beurteilt, ob sie ähnlich denken wie die Autorin. Wenn sie es nicht tun, werden die abgewatscht. Das macht sie bis heute, mit Charlotte Roche zum Beispiel. Meiner Gerenationsgenossin. Ich muss sagen, ich fühle mich ihr sehr verbunden, schon allein, weil sie sich von der - wie hat sie sich genannt? – „Pionierin der Frauenbewegung“ nichts mehr sagen lässt. Sie verweigert die Ideologie-Kontrolle durch Alice Schwarzer. Letztlich ist es eine ähnliche Debatte wie damals mit Esther Vilar. Da schreibt jemand provokative Bücher gegen den politisch korrekten Mainstream und schon drischt Alice Schwarzer drauf. Aber die Söhne- und Töchter-Generation lässt sich von ihr einfach nichts mehr erzählen. Auch wir jüngeren Männer fühlen uns kaum mehr provoziert von der Chefideologin der 70er-Jahre-Emanzipation. Auch wir wissen, dass noch längst nicht alles im Lot ist, dass viele Frauenrechte nur auf dem Papier existieren, dass es sogar Rückschritte gab. Aber wir stellen nicht mehr die Systemfrage, wir befassen uns längst nicht mehr mit Ideologien, wir fragen uns sogar eher selbst: was ist heutzutage noch ein Mann. Die Männerkrise fegt durchs Land. Lösen kann man sie nur mit den Frauen. Ich bin mir nicht sicher, ob Alice Schwarzer noch Teil dieser Diskussion sein kann. Sie kommt doch allzu sehr aus einer anderen Zeit.

Vladimir Balzer
18.09.2011

 

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▷ http://www.br-online.de/podcast/mp3-download/b5aktuell/mp3-download-podcast-die-kultur.shtml
▷ http://de.wikipedia.org/wiki/Esther_Vilar

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