
Tarot
Es bestehen viele Zugangsvarianten, um sich in den spirituellen Fluß einzubringen, neben dem hier behandelten Tarot inter alia das Ouija, das Yìjīng und manche weitere. Der Tarot wird esoterischem Mythos nach auf Ägypten zurückgeführt, erscheint kontemporär gesicherter Kenntnis zufolge aber wesentlich später; das nicht minder späte Ouija geht sehr wahrscheinlich auf das chinesische Fújī zurück. Die Ursprünge des inkommensurabel älteren Yìjīng weisen in nicht von der Hand zu weisender Verifikation am historisch weitesten zurück.
Seitens des Christentums werden diese quintessentiell ritualistischen Vorgehensweisen allsamt dämonisiert, sie seien ein Affront gegen die alleinige Souveränität Gottes, wobei „das Christentum“ selbst ein theologisch-epistemisch bemerkenswert doppelmoralisches Gleis befährt, u.a. da die von christlicher Seite hochrespektierte Wissenschaft einen auf anderen Wegen zwar, doch in zunehmendem Maße unerhörteren Eingriff in jene Souveränität Gottes vollzieht. Daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist offenkundig und muß nicht eruiert werden.
Warnungen um einschlägige Gefahren (in den letzten Jahren besonders zum Ouija) sind wohl angebracht, werden aber in exclusivistisch einseitiger, oftmals eifernder und nicht selten grotesker Überzeichnung seitens um Gottes und ihr eigenes Souverän fürchtender Hüteriche dargeboten, die in nach wie vor inquisitorisch verteufelnder Perhorreszenz und gerne auch herablassender Arroganz polemisieren, während sie selbst in einst sich sicher wähnendem opportunistischem Wohlwollen gehegtem und gepflegtem pactum diabolicum mit der Wissenschaft und den Instanzen irdischer Macht (beide letztere ihre eigenen Terminologien pflegend ins gleiche Horn blasend) nun einem solchem aufs falsche Pferd gesetzt habenden Pakte typisch sich gegenseitig aufreibend ums Überleben ringen.
Jener die wahre Metaphysis bekämpfende, aus archaischem Abyssus lodernde Antagonismus (hier im Gewande exorbitant sinnverkehrender materialistisch-rationalistischer Ideologismen), in welchem die westhemisphärisch-eurozentrisch akademisierende Verwerfung magisch-mythischen Denkens ebenso wie christologischer Dogmatismus und dessen „Grundannahme einer Trennung in eine natürlich-materielle und eine übernatürlich-transzendente Welt“ gründet, kann und soll keine Verständnisebene für authentisch Supranaturales entwickeln: Hierauf wurden (ins Existentielle mutierend) die Säulen irdischer Macht errichtet; diese die Gegenbewegung ausübende Verblendung soll daher (da existentiell geworden) absolutiert werden. Sträflich die Annahme, dieser Vorgang beschränke sich auf den Westen: In ausgefeilten Mechanismen maligner Omnipräsenz zeigt sich das Antagonistische in globaler Bewegung, so in der Auseinandersetzung Brahmana vs. Kshattriya, der „Unterbrechung des Kontaktes der Erde zum Himmel“ im Chinesischen.
In den Jahrhunderten gediehen indes zahlreiche sich ums Feuer des Geistes, nicht die Asche des Ungeistes sorgende Wege und Ausdrucksformen, mithin allerhand Varietäten der Chartomantie und so auch der Decks; diese aber boomen seit einigen Jahren im Chorus allumfassender Niedergangsdekadenz in nun wirklich unsäglichem Wildwuchs: Während in deutschen Gefilden noch vor etwa vierzig Jahren neben dem Rider Waite, Crowleys Thoth Tarot, einigen an der Zahl überschaubaren Blättern divergenten Stiles (Lenormand, Kipper et al.) und die verbliebenen mittels jeweils originärem (die Major Arcana nicht beinhaltendem) Blatt agierenden Kartenleger die Szene beherrschten, kann mittlerweile längst nicht mehr von erbaulicher Vielfalt, sondern einem irritierend hyperinflationären Tsunami unterschiedlichster Decks in teils pathologisch verzerrter, teils bizarr kunterbunter, teils in artifizielle Effekthascherei degenerierter, teils wahlfrei à la Ballermann oder Bussi Bär niederfrequenter Typologie gesprochen werden (e.g. Taylor-Swift-Tussitarot), und auch hinsichtlich prinzipieller Interpretation und Legemethoden entfaltete sich nicht zwingend beglückende Kreativität. Vice versa kristallisierten sich einige (das Symbol umsetzenden Agens betreffend) äußerst anspruchsvolle, auf metaphysisch potentiell hoher Schwingung befindlichem Niveau kreiierte Decks heraus.
Eine gewisse Medialität im Zusammenspiel mit einem seriösen Habitus des Legenden war in allen Zeiten desiderabel; so ein frisch dem Ei entschlüpfter Novize, ein Scharlatan, Komödiant oder Berauschter etc. die Karten bewegt, sollte man sich freilich nicht auf die Legung einlassen. Letztere Binsenweisheit gilt jedoch auch für die Autowerkstatt oder den Zahnarzt und dergleichen. Im Übrigen ist die Konsultation eines Chartomanten nicht schlechthinnige Voraussetzung einer Legung; es gehören nicht notwendig zwei dazu. In vergangenen Epochen durchaus auch auf Ebenen blaublütigem Maskulinums gepflegt, wendet sich die von Anbeginn faszinierte mehr oder minder holde Weiblichkeit (e.g. Zigeunertarot) in der Moderne nun in wahrlich dezidierter Majorität der Kunst des Kartenlegens zu; dies zur rationalistischen Verrohung im Zeitalter des materialistischen Reduktionismus.
„Der Geist ist da, doch läßt er sich nicht fassen, er ist frei,
ihn zwingen zu wollen, heißt ins Leere greifen,
er offenbart sich, wenn es ihm beliebt.“
Die Karten haben ihren in gerüttelt Maß eigenen Kopf; ihr Naturell ist nicht subaltern. Sie können die Aussage verweigern, sich im Diffusen halten oder überwältigend konkret formulieren. Sie weisen eher das Wesen einer Katze, nicht eines Hundes auf. Sie beherrschen zu wollen ist (wie allen dergestalten Disziplinen eigen) nicht ratsam, mit ihnen zu arbeiten oder es bleiben zu lassen eine Frage der Affinität. Tumbe Militanz, verblendete Ideologie, Haberechte und Controlmaniacs finden im Umgang mit den Karten keine goutierende Resonanz; sie stehen nicht willfährig in Diensten des Legenden. Sie wissen um den Krieg und wissen um die Liebe, predigen aber keinen lieber und immer noch lieber werdenden Gott. Im Tarot lauern sicherlich auch Gefahren, diese lauern aber selbst im Herunterlaufen einer Treppe; man kann sich in den Karten verlieren, kann man aber auch in den Dämonen des Alkohols und der Sexualität etc., um auch diese Binsen noch zu erwähnen. Evil lurks everywhere.
Die das Sein und die Dinge umfassende Bildhaftigkeit der Karten im Kontext mit jenem rituellen Ablauf der Legung per se, der Ortsqualität, der wie auch immer evozierten Raumatmosphäre sowie die oben angeführte Medialität des Legenden im Konglomerat mit der metaphysischen Disposition sofern weiterer Anwesender bilden das Szenario, welches die Schleusen in den Fluß des Tarot öffnet und modifiziert, dies aber nicht im mechanistischen Sinne, nicht immer und unter allen Umständen. Die Karten funktionieren nicht wie eine Maschine; sie sind nicht herzlos, können es aber sein, sie ticken nicht anthropologisch, nicht humanistisch, nicht gutmenschlich und erst recht nicht wissenschaftlich. Schulmedizinisch psychologisierende Denk- und Erklärungsprofanie (nicht allein) zu den Karten ist daher keinen Cent wert.
Die Konzentration auf den Ritus der Legung, das Blatt und die Frage ist gleichsam essentiell wie obligat, sollte aber nicht mit der Konzentration eines Kampfsportlers verwechselt werden. Eine allzu leichtfüßige, überschäumende, despektierlich neugierige oder spielerische, die Dinge unterschätzende oder sich selbst überschätzende Herangehensweise ist ebensowenig konstruktiv wie eine allzu furchtsame, servile, mimosenhafte, starre oder ein bestimmtes Resultat erzwingen wollende Haltung: Auf Erwartungen legen die Karten keinen Wert. Selbsterklärend ist es nicht verwunderlich, wenn im Umfelde alkoholisierter Krimineller, leichter Mädchen, kokainliniger Spiegel und dröhnender Ghettoblaster kein nachgerade paradiesisches Ambiente für den Tarot vorliegt und sich möglicherweise dem entsprechende „Kräfte“ zeitigen.
Eine Kartenlegung ist nicht einem Horoskop oder Sakrament vergleichbar; ersteres vergegenwärtigt ersichtlich eine zweidimensional strukturell-inhaltliche Wiedergabe einer gegebenen metaphysischen Disposition innerhalb des Raumes und der Zeit; letzeres vergegenwärtigt ein per definitionem „sichtbares Zeichen (sichtbare Handlung) einer unsichtbaren Wirklichkeit Gottes“ resp. des Göttlichen. Obschon ein Horoskop nun nicht einem Sakrament gleichzusetzen ist, liegt beiden grundsätzlich Verbindlichkeit inne, was auch e.g. der Ritualistik der Sanatana Dharma zu attestieren ist, sofern das Zelebrieren des Heiligen an sich nicht in atheistischer Attitüde von sich gewiesen oder ein (christliches) Exclusivitätspostulat errichtet wird.
“The fall of the I Ching’s coins, the Tarot card spread or the fall of the runes
are ‘meaningful coincidences’ that reflect present and future events.”
So sich das Metaphysische im Yìjīng, dem Tarot, dem Ouija etc. in jeweils signifikanter Manier Ausdruck verleiht, ist zum einen (speziell Ouija oder Séancen betreffend) zu ergründen, welche spirituelle Ausdrucksform sich formuliert, desweiteren die jeweilige Auslegung des Empfangenden nicht unbedeutend. Ein Vaticinium oder ex opere operato absoluter göttlicher Wahrheit in einer jedweden Legung des Tarot, im Ouija oder in Séancen zu sehen, erweist sich daher problematisch. Ganz allgemein zählen Divinationsmethoden natürlich nicht zum Sakrosankten an sich. Man kann den Tarot (wie alle Entitäten) mißbrauchen, sollte sich dann aber nicht ob der unvermeidlich nachhaltigen Ausgleichsbewegung verwundern.
Die Karten weisen ein hohes Potential an Aussagefähigkeit auf, ihre chronologische Dimensionalität ist schwer einschätzbar. Sie können aller Erfahrung nach mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht die Lottozahlen vorhersagen und zeichnen üblicherweise auch nicht zuständig dafür, die Welt zu retten, finanzielle Transaktionen zu katalysieren, anvisierte Liebespartner willenlos zu zaubern, finstere Rachevisionen zu transformieren usw. Allerdings kann in der Tat alles und nichts geschehen, wie das Leben eben so spielt oder auch: das Universum hat Humor, wobei das Erscheinen leibhaftiger Dämonen oder Satans höchstpersönlich während der Legung eher weniger als Regelfall zu sehen ist.
Von den bekannten Verfahren zur Schicksalsbefragung liegen es dem Yìjīng und Tarot in ihrer hohen Komplexität im besonderen Maße inhärent, zum einen im genuin epistemischen wie bei entsprechender Handhabung auch meditativen Sinne, zum anderen dem, was modernistisch unter den Prozessen der Bewusstwerdung oder Selbstfindung verstanden wird, hilfreich zu sein. Flackernde Unruhe, bohrende Skepsis, rationalistische Fledderei, selbstgefällige Hybris und streitbares Dominanzgebaren werden in zeitloser Kontemplation gegenstandslos.
Visualisation
Wir sehen bei variierender Schnittmengensummierung keine wie auch immer hyperonyme oder hyponyme Linienführung, derer wir uns in Gänze anzuschließen berufen fühlten, nicht den monotheistischen Linien, nicht der Gnosis und Hermetik, nicht der Freemasonry und dem Rosicrucianismus, nicht der Theosophie und Anthroposophie, ergo nicht dem Hermetic Order of the Golden Dawn, dem Ordo Templi Orientis oder der Thelema, um nur die relevantesten Gewächse westlich formulierter Esoterica anzuführen. Obwohl nun insbesondere Aleister Crowleys obskures Verständnis von Metaphysik dem unseren nichts gemein hat, sind es gleichwohl die einzigartig umfangreichen Symbolgehalte seines Thoth Tarots, die uns veranlassen, im Folgenden eine exemplarische Visualisation für die Substanz des Tarot an sich basierend auf einer aus letzteren beiden Orden hervorgegangenen berühmten Decks wiederzugeben.
Hier nun also jene den Sphären des Golden Dawn bzw. O.T.O. entstammenden
• seitens Arthur Edward Waite und Pamela Colman Smith entworfenem und in 1909 veröffentlichtem Rider Waite Tarot sowie des
• seitens Aleister Crowley und Lady Frieda Harris entworfenem und in 1935 publiziertem Thoth Tarot.
Es wird eine kontextuelle Fortentwicklung dieser im tradierten Stile des Tarot de Marseille daherkommenden Decks evident; Arthur Edward Waite rezipierte nun in seiner Minor Arcana wohl auf das Sola Busca Tarot, in Aleister Crowleys (die Linien des Rider Waite weiterführendem) Thoth Tarot spiegeln sich in Zusammenfassung die astrologischen Inhalte, beider Bezugnahme auf Éliphas Lévi adäquat die kabbalistischen Kontexte zu den Sephiroth des azimuth’schen Baumes wie auch die Entsprechungen bestimmter Gottheiten wider: Esoterischem Mythos gemäß assoziierte Crowley den Tarot aus schwarzländischem Quell entspringend; sehr explizit implementierte er daher diesem Postulat stimmige Referenzen. Plausibilitäten für den in eher idealisierender Verklärung so behaupteten altägyptischen Ursprung des Tarots wurden indes ein weiteres Mal nicht erbracht.
Nun denn, Crowley erwies sich heikel, aber nicht dumm. Ihm wesenstypisch idiolatrischem Pathos, seiner pervertierten Antinomie eines Ethos muß man nicht folgen. Gewiß sinnvoller, das sic et non seines umstrittenen Logos abzuwägen, seines Zusammendenkens komplexer metaphysischer Disziplinen und dessen neuralgischer Extreme nämlich, denn brachialkategorisierende Simplifikationsdilettantismen, die des Magus Œuvre schlichtweg „satanistisch“ deklarieren, ermüden zutiefst, und wer nicht partout in krittelnden Haarspaltereien und/oder reflexhaften Pfründereien graduieren will, wird ohne Not erkennen, daß es die Konzeptionen der beiden Herren und visuellen Umsetzungen der beiden Damen des Hermetic Order of the Golden Dawn und des (vielschichtigen) Ordo Templi Orientis waren, die den Tarot nicht nur wiederbelebten: Die Visualisation verdeutlicht, auf welch profaner Ebene Lenormand-, Kipper- und Gypsy Cards recht niedlich gestaltet dahin flanieren, während Rider Waite und besonders Thoth in transzendente Weiten hinein interagieren.
Nachwort
Die fünf Säulen der Römisch-Katholischen Kirche bestehen aus dem Novum Testamentum, der Tradition, der griechischen Philosophie, der römischen Hierarchie und dem lebendigen Gott. Bei allem Fundus oben skizzierter kontradiktionär indoktrinierter Theologie finden sich in der judäochristianisierenden katholischen Tradition neben zweifellos gemeinschaftstragenden sozialethisch ehernen Prinzipien gar manche Reservate bewahrender Erkenntnis jener elementaren Metaphysis, welche im Reformatorischen expressis verbis negiert wurde und wird. Durch die Protestantisierung und flächendeckende Expansion calvinistischen Geistes in die Neue Welt, die im Sinne der Aufklärung materialistisch-reduktionistische Säkularisierung und den Laizismus muß daher im Westhemisphärischen eine metaphysisch verheerend defizitäre Bilanz konstatiert werden.
Wie immer gedreht und gewendet ist jedoch auch und gerade seitens der Katholizität eine Restitution dieser bereits im Vetum Testamentum resp. Tanach und damit schon in der jüdischen Religion abgrundtief verwurzelten Abneigung versus im sogenannten Heidentum gründender „Divinatio et magia“ nicht zu erwarten (cf. Catechismus Catholicae Ecclesiae CCC, 3. Teil, 2. Abschnitt, 1. Kapitel, Artikel 1, Absatz III, 2110 ff.; pauschalierend knappe Definitionen zur Ausgrenzung von Divinatio et magia siehe Absätze 2115–2117, bes. Absatz 2116). Allerdings entwickel(te)n sich in den Reflexionen monotheistischer Mystik der unerfreuten Orthodoxie nicht immer vollends stimmige Orientierungen.
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Korrelationen
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